Queerstiftis

Queere Stipendiat*innen und Alumni*ae

der Studienstiftung des deutschen Volkes

Workshops QSBT 2023

1. Homosexualität jenseits der Moderne? Kulturell alteritäre Formen mann-männlichen Begehrens und geschichtswissenschaftliche Verfahren ihrer Beschreibung – Dr. Michael Navratil (er/sein)

Sexualitätsgeschichte – mann-männliches Begehren – Homosexualität – Alterität – Kulturvergleich

Homosexualität im heutigen Sinne ist, wie Michel Foucault, David Halperin und andere gezeigt haben, eine ‚Erfindung‘ der westlichen Moderne. Wie aber lassen sich alteritäre – also weder westliche noch moderne – Ausprägungen mann-männlichen Begehrens und gleichgeschlechtlicher Bindung beschreiben? Der Workshop liefert in seinem ersten, vortragsbasierten Teil Beispiele unterschiedlicher Formen mann-männlichen Begehrens in der Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Er stellt dabei die Frage, wie eine konstruktivistisch argumentierende Geschichtswissenschaft mit diesen Formen des Begehrens umgehen kann, ohne den Gefahren eines epistemischen Kolonialismus über die Zeiten und Kulturen hinweg zu erliegen – ohne also zu behaupten, dass es DIE Homosexualität immer schon gegeben habe. Der zweite, stärker interaktive Teil des Workshops lädt zur gemeinsamen Diskussion des vorgestellten Materials ein. Dabei soll insofern an die Lebens- und Erfahrungswelt der Workshop-Teilnehmer*innen angeknüpft werden, als zu diskutieren sein wird, ob es gegenwärtig Anzeichen dafür gibt, dass sich ‚klassisch‘-moderne Vorstellungen mann-männlicher Homosexualität in Richtung fluiderer Konzepte flexibilisieren – und dabei möglicherweise in Teilen auflösen. Der thematische Schwerpunkt des Workshops liegt auf Formen mann-männlichen Begehrens. Dessen ungeachtet sind Personen, die sich nicht als männlich, schwul oder bisexuell etc. identifizieren, im Workshop herzlich willkommen! TRIGGER-HINWEIS: Manche der im Workshop behandelten kulturell-alteritären Formen interpersoneller Bindung sowie mann-männlichen Sexualverhaltens entsprechen nicht den gegenwärtigen Anforderungen in Bezug auf soziale oder sexuelle Egalität sowie Konsensualität. Teilnehmer*innen des Workshops sollten die Bereitschaft mitbringen, sich auch mit kulturellen Phänomenen auseinanderzusetzen, die aus einer Gegenwartsperspektive möglicherweise ethisch problematisch erscheinen.

2. Schwul in der Psychiatrie - Wie queere Menschen zu Patient*innen gemacht wurden – Stella Stupica (sie/ihr)

Schwul – Medizin – Psychiatrieakten – Nachkriegszeit – Pathologisierung

Schwul zu sein galt nicht immer als pervers. Nahezu zeitgleich zur Etablierung der modernen Psychiatrie als Ort der oft unfreiwilligen Absonderung von Menschen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprachen, wurde auch die "Homosexualität" als Bezeichnung für diese Untergruppe von "Perversen" erfunden. Schon in der NS-Zeit praktizierende Psychiater*innen beharrten auch in Nachkriegszeit darauf, dass gleichgeschlechtlicher Sex nicht nur weiterhin strafbar, sondern auch pervers sei. Die Meinungen gingen jedoch weit auseinander, was Homosexualität denn überhaupt sein soll und wie diese Perversität zu therapieren sei. Im Workshop werden wir uns mit einigen Originalquellen (darunter wissenschaftliche Artikel, Lehrbuchkapitel und Psychiatrieakten) aus dieser Zeit zwischen NS-Euthanasie und den von einer gesellschaftlichen Liberalisierung der 70er Jahre beschäftigen. Wie werden sowohl versuchen nachzuvollziehen wie Psychiater*innen der Nachkriegszeit männliche Homosexualität verstanden haben als auch wie ihre Patient*innen ihren Aufenthalt und ihre Perversität erlebt haben. Die Quellen, ihre Limitationen und ihre heutige Bedeutung für uns als queere Menschen werden wir dann gemeinsam diskutieren. Der Workshop richtet sich an alle, die ein Interesse an Queer-Sein und Psychiatrie aus einer geschichtswissenschaftlichen Perspektive haben. Du solltest bereit sein, einige der von mir zur Verfügung gestellten Texte vor dem Workshop zu lesen (wir lesen nichts während des Workshops) sowie im Workshop aktiv mitzuarbeiten, mitzudenken und mitzudiskutieren. Es ist kein geschichtliches Vorwissen nötig. Einige optionale Texte sind auf Englisch, der Workshop und die relevanten Texte sind auf Deutsch. TW: Homo-, Trans- und Queerphobie, Pathologisierung und Konversionstherapien.

3. Reclaiming Love, oder: Warum Monogamie "normal" und Polyamorie "pervers" ist – Eva (sie/ihr) und Miriam (sie/ihr)

Polyamorie – Mononormativität – Ehe – Monogamie – Beziehungskonzepte

In unserem Workshop möchten wir mit euch ergründen, wie und warum die Monogamie als Standardbeziehungsmodell entstanden ist (Geschichte der Ehe inklusive) und wie polyamore Menschen als Kontrast hierzu stigmatisiert und bekämpft wurden und noch heute werden. Wir werden dazu in zwei Gruppen an je einem historischen und einem aktuellen Text (multimedial) arbeiten und am Ende die Ergebnisse zusammentragen. Daran schließt sich eine Diskussion zu lebensweltlichen Erfahrungen an: wir möchten gemeinsam einen offenen Raum schaffen für Fragen zu polyamoren Lebensweisen, Vorurteile abbauen und zu größerer Sichtbarkeit auch in der queeren Community beitragen. Wir stellen euch vorab zwei Materialien zur Verfügung, um euch mit der Geschichte der Monogamie und der Identität der Polyamorie vertraut zu machen (ggf. auch auf Englisch). Der Workshop ist regenbogenrichtig für alle Stiftis, die Lust haben, Gewissheiten zu hinterfragen und über eine bisher vielen noch unbekannte Form der Liebesorientierung zu lernen - kein Vorwissen und keine Vorerfahrung mit Polyamorie notwendig! Triggerwarnung: Thematisierung von Diskriminierungserfahrungen polyamor lebender Menschen.

4. "Gehören Kink und Fetisch auf die Pride?" – Toni (sie), Ansgar (sie/er)

Queere Identitäten – Kink und Fetisch – sexuelle Befreiung – intersektionale Diskriminierung – Pride

In jüngster Zeit sind die Debatten darum, inwiefern Kink und Fetisch auf der Pride sichtbar sein sollten, immer lauter geworden. Gehört eine öffentliche, frei gelebte Sexualisierung zum queeren Selbstverständnis? Widerspricht es Grundprinzipien von Consent, wenn bei solchen Veranstaltungen Sex, Kink und Fetisch frei zum Ausdruck gebracht wird? Und lassen sich Sex und Sexualität überhaupt getrennt voneinander verstehen? In all diesen Fragen möchten wir bei unserem Workshop gemeinsam mit euch eintauchen. Es geht um Queerness, Kink und Fetisch. Um eine immer diverser werdende queer Community. Sex, Macht und Fantasien. Darum, wie insbesondere auch Drag und andere Kunstformen in diesem Spannungsfeld zwischen Queerness und Kink florieren können. Um intersektionale Diskriminierung rund um das Perverse, Fetischisierung queerer Identitäten sowie queeren Kink. Content Warning: Intersektionale Diskriminierung, insbesondere auch bezüglich Sexualität, trans*-Identitäten, Acespec-Identitäten und Rassismus. Beinhaltet Beschreibungen diverser Sex-, Kink- und Fetischpraktiken. Weitere Vorkenntnisse sind nicht nötig, eine aktive Mitarbeit ist erwünscht (aber nicht verpflichtend).

5. Queer Joy - eine Antithese zum Narrativ des queeren Leidens – Christine (sie/ihr)

Queer Joy – Erleichterung – Entdeckung – Normen hinterfragen – Reflektieren

Nach Sara Ahmed (The Promise of Happiness, 2010; dt. Das Glücksversprechen, 2020) stützt, verstärkt und erhält die Erzählung des leidvollen queeren Lebens Heteronormativität in unserer Gesellschaft. Während es zahllose Beispiele dafür gibt, dass queeres Leben unter der Macht von Heteronormativität leidet, zeigt Jane Ward (The Tragedy of Heterosexuality, 2020) auf, dass dies nur ein Teil der Geschichte von Queerness ist. Ein machtvoller Teil, der nicht nur queere Freude und Vergnügen überdeckt, sondern auch die queere Erleichterung, nicht hetero zu sein. Jane Ward vermutet, dass viele Queers die queeren Teile ihres Lebens lieben, auch wenn dieser Teil oft von einem anderen Narrativ überdeckt wird. Im Workshop möchte ich daher den Spuren von Queer Joy nachgehen. Was ist unsere eigene Erfahrung mit Queer Joy? Wo befreit uns unsere Queerness von Erwartungen, Normen und Zwängen? Durch das Lesen von kurzen Textausschnitten, Reflektion, Diskussion in Kleingruppen und danach Gespräch in der großen Gruppe wollen wir uns dem Thema nähern. Es ist keine Textvorbereitung für den Workshop notwendig, ggf. versende ich vor dem Workshop Links zu kurzen Videoclips als Inspiration und Beispiele von Queer Joy. Teilweise sind die Textausschnitte auf Englisch, teilweise auf Deutsch. Das Teilen der eigenen Reflektion oder Erfahrung ist freiwillig.

6. (Medizinische) Transition - Einblicke in Geschichte und deren Bezüge zur Gegenwart – Enno (er), Lea (sie)

Medizinische Transition – Diskussion – Textarbeit – Geschichte – Medizinisches System

In unserem Workshop wollen wir uns anhand von Sekundärliteratur exemplarisch mit zwei historischen Persönlichkeiten beschäftigen, die insbesondere die Praktiken der medizinischen Transition in Europa und Nordamerika bis heute prägen. Magnus Hirschfeld gründete 1919 das Institut für Sexualwissenschaft und bat bereits in den 1920ern Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende OPs für trans* Personen an. Unter Hirschfeld lernte auch Harry Benjamin, dessen Buch 'The Transsexual Phenomenon' und seine Patientin Christine Jorgensen, machten erstmals Transidentität zu einem Thema der breiten Öffentlichkeit. Im zweiten Teil des Workshops wollen wir gemeinsam diskutieren, an welchen Stellen das existierende System (v.a. in Bezug auf Deutschland) veraltet ist und von welchen Elementen wir uns lösen können und müssen. Als Vorbereitung für den Workshop wird es ein bisschen Literatur von uns zum Lesen geben. (Deutsch oder Englisch). Die im Workshop verwendete Literatur enthält veraltete, zum Teil diskriminierende Sprache. Inhaltlich kommen unter anderem Gate Keeping, Transphobie, sowie explizite Darstellung von medizinischen Eingriffen zur Sprache. Unser Workshop fokussiert sich mit den beiden von uns gewählten historischen Persönlichkeiten auf zwei cis Personen, die sich als Wissenschaftler mit Transidentität beschäftigt haben. Wir werden Geschichten einzelner trans* Personen und Patient*innen von Hirschfeld und Benjamin einfließen lassen, sie werden jedoch nicht der Fokus des Workshops sein.

7. Für Facial Feminization Surgery nach Thailand? – Stella Sleightholme-Albanis (sie/ihr)

Medizinische Versorgung – gender-affirming surgery – facial feminization surgery – health equity – Selbstbestimmungsgesetz

In diesem Workshop möchte ich die medizinische Unterversorgung von transgender Personen in den Fokus stellen. Wir werden den Blick auf den Zugang in Deutschland zu gender-affirming surgery, insbesondere der facial feminization surgery, richten. Diese umfassen chirurgische Maßnahmen, die eine Angleichung des Körpers und Körperfunktonen an das Geschlechtsempfinden ermöglichen. Um uns einen Überblick zu verschaffen über Aspekte, die den Zugang zu diesen Operationen momentan erschweren, werden wir Erfahrungsberichte von transgender Personen hören, die für diesen Workshop über das Thema gesprochen haben. Zudem gebe ich Einblicke aus chirurgischer Sicht. Um den aktuellen Stand bezüglich der Versorgung noch besser zu verstehen, wird es uns behilflich sein, uns einige geschichtliche und politische Entwicklungen näher anzuschauen. Diverse Institutionen haben in der Vergangenheit Gesetze, Empfehlungen und andere Texte herausgegeben, die wir in Kleingruppen lesen werden und über die wir uns anschließend in großer Runde austauschen werden. Das Material hierzu stelle ich im Rahmen des Workshops zur Verfügung. Über diesen Blick in die Vergangenheit möchte ich mit euch diskutieren und gemeinsam Ideen formulieren, um den Zugang zu facial feminization surgery in Deutschland zukünftig zu verbessern. Wo müsste man eingreifen? Und was hat am meisten Priorität? Kein Vorwissen notwendig. Die Erfahrungsberichte sind teilweise auf Englisch und können bei Bedarf übersetzt werden.

8. Kategorisierung von Queers? Zur Notwendigkeit und Problematik der statistischen Erfassung von Queers – Kari Wegener (kein Pronomen)

Statistik – Geschlecht – Forschungsmethodik – Dilemma – Diskussion

Was sollen nicht-binäre Menschen ankreuzen, wenn nur nach weiblich oder männlich gefragt wird? Wo passt Pan-, Bi- oder Asexualität rein, wenn nur Homo- oder Heterosexualität angeboten wird? Geschlecht und Sexualität werden trotz ihrer Komplexität häufig auf nur wenige Kategorien reduziert. Aus forschungsmethodischer Perspektive ist es jedoch gar nicht so einfach, einen Fragebogen zu designen, der allen gerecht wird und gleichzeitig noch praktikabel ist. Im Workshop wollen wir alternative Ansätze erkunden und herausfinden, in welchen Kontexten wir uns wohl fühlen, Angaben zu unserem Geschlecht oder unserer Sexualität zu machen. Dazu werfen wir auch einen Blick die Vergangenheit und schauen, inwiefern die historische Erfassung von Queers während der NS-Zeit die aktuelle Diskussion beeinflusst. Der Workshop richtet sich sowohl an Interessierte an quantitativer Forschung als auch an diejenigen, die schon einmal die Kategorien eines Fragebogens gesprengt haben und Lust haben über ihre Erfahrungen zu sprechen und zu reflektieren. Es ist keine Vorbereitung und auch kein Vorwissen notwendig. Content-Note: Es wird im historischen Teil um die Verfolgung von Queers während der NS-Zeit gehen. Außerdem werden wir mit einem binären Geschlechterverständnis konfrontiert sein, wenn es um die aktuelle Erfassung von Geschlecht geht.

9. Perverse Publikationen - Studien, ihre Schwächen, und der Umgang mit queeren Identitäten – Florian Battke (er)

Studien – Studiendesign – Methodische und Statistische Fehler

Wissenschaftliche Studien sind ein wichtiges Werkzeug, um unsere Welt zu verstehen. Gut gemachte Studien erlauben uns, Zusammenhänge zu erkennen, die wir intuitiv nicht oder sogar falsch wahrnehmen würden. Wir werden im Alltag regelmäßig mit Studienergebnissen konfrontiert, diese sind fast immer vereinfacht oder verkürzt. Das Spektrum reicht von harmlosen Themen ("Schokolade macht glücklich") bis zu tiefgreifenden Aussagen über Gruppen von Menschen, insbesondere auch queere Personen betreffend (z.B. "Kinder brauchen Mutter und Vater", "Homosexualität ist genetisch", „Queere Menschen haben ein höheres HIV-Risiko“, usw). Ein besseres Verständnis der hinter solchen Aussagen liegenden Methodik kann helfen, Studien zu hinterfragen und in der Diskussion über queere Themen zu kommentieren. Im Workshop werde ich den Aufbau von Studien von der Fragestellung über die Datenerhebung, Auswertung, Statistik und Interpretation erklären und dabei Schritt für Schritt und an Beispielen aus verschiedenen Fachgebieten auf mögliche Fehlerquellen eingehen. Wir überlegen gemeinsam, welche Bedeutung das Besprochene im Bezug auf Studien zur queeren Wirklichkeit hat. Zum Beispiel in der Auswahl relevanter Fragestellungen, in der Formulierung von Fragen zur queeren Identität, in der Kodierung und Auswertung queerer Identitäten. Zusammen können wir versuchen, ein gutes Studiendesign für die Erforschung einer Fragestellung mit Bezug zu queeren Menschen zu erarbeiten. Vorkenntnisse oder besondere Sprachkenntnisse sind nicht notwendig.

10. Genealogie(n) des Vorurteilsbegriffs aus queeren Perspektiven – Ariel Goldbeck (keine Pronomen)

Vorurteile – marginalisiertes Wissen – Begriffe hinterfragen – Diskursanalyse – Queerfeindlichkeit

Was ist ein Vorurteil? Dieser Frage gemeinsam nachzugehen, ist das Anliegen dieses Workshops. Genauer wird es um zweierlei gehen: Zum einen werden wir uns einen groben Überblick über einschlägige Vorurteilskonzeptionen verschaffen. Zum anderen und vorrangig geht es um unsere eigenen Vorurteilsverständnisse. Wir möchten darüber reflektieren, wie wir aus unseren vielfältigen queeren Perspektiven heraus Vorurteile verstehen und inwiefern unsere Verständnisse von Vorurteilen zu den herkömmlichen Vorurteilsbegriffen passen. Trigger-Warnung: Höchst wahrscheinlich werden queerfeindliche und andere Vorurteile zitiert, um sie zu analysieren und zu kritisieren. Voraussetzungen: Texte und Gespräch werden in deutscher Sprache sein. Vorbereitung: Bitte schreib mir vorab eine Mail (goldbeck(at)uni-hildesheim.de), wenn es etwas gibt, das den Workshop für dich zugänglich(er) machen würde, wenn es Fragen, Wünsche usw. gibt. Vorabinformationen: Informationen über den - natürlich je nach Bedürfnissen variablen - Ablauf des Workshops und die voraussichtliche Teilnehmendenzahl werden so früh wie möglich allen Teilnehmenden geschickt.

11. Geschichte als Debattenraum queerer Identität – Lars (er/ihn)

Queere Identität – Geschichte und Gesellschaft – Antike – Gegenwartsdebatten – Moderne

Historische Argumente dienen häufig zur (De-)Legitimation von gegenwärtigen gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Vom eigenen kulturellen und zeitlichen Kontext ausgehend diskutieren Akteur*innen dabei geschichtliche Phänomene, um die Genese ihrer Gegenwart infrage zu stellen. Jedoch werden häufig Konzepte für vergangene Epochen vorausgesetzt, die sich ohne Weiteres nicht einfach übertragen lassen. Unlängst hat der Holocaust-Gedenktag im Zeichen von queeren verfolgten Minderheiten für Unmut gesorgt – „unhistorisch“ sei der Begriff, so Alexander Zinn. Vor diesem Hintergrund von argumentativen, aber auch methodischen Problemen der Geschichtswissenschaft möchte ich mit Euch erarbeiten, inwieweit der Rückgriff auf die Vergangenheit eine geeignete argumentative Basis bildet, um zeitgenössische Fragestellungen zu klären. Neben den (Forschungs-)Debatten bspw. aus der Alten Geschichte soll auch das Archiv selbst Gegenstand unserer Betrachtungen sein. Also setzen wir uns mit dem Verhältnis von Geschichte und Gegenwart auseinander: Was ist Geschichte überhaupt? Welche Probleme gibt es bei der Betrachtung der Geschichte aus der Gegenwart? Wie und unter welchen Voraussetzungen arbeitet die Geschichtswissenschaft? Gern möchte ich Euch hierfür Textausschnitte zur Verfügung stellen, die Ihr aber vorher *nicht* lesen müsst – dafür werden wir genug Zeit im Workshop haben, zu dem Ihr sie dann bitte mitbringt. Zumindest ein Teil der Lektüre wird dabei auf Englisch sein; ansonsten bemühe ich mich um Übersetzungen. Der Workshop lebt von Eurer aktiven Bereitschaft, Euch gemeinschaftlich mit teils abstrakten – und kniffligen –, teils ganz konkreten Problemen im Textformat zu beschäftigen. Am Ende soll der Bezug zu heute im Fokus stehen, vielleicht aber auch die Beantwortung der o.g. Fragen. Vorwissen braucht Ihr keines.

12. Diskussionsrunde zu LOTE (2020): Archivarbeit und Queere Literaturgeschichte – Xaver (he/them)

Diskussionsrunde – Literaturgeschichte – Literary Recovery – Historizität – Roman

Ist es möglich, queere Vergangenheiten in die heteronormativen Rahmen, in denen wir Geschichte denken, zu integrieren? Diese Frage steht im Zentrum von Shola von Reinholds Roman LOTE (2020), in dem das Archiv als Ursprung des „perversen“ Wissens über queere Vergangenheiten hinterfragt wird. In diesem Workshop werden wir uns vor dem Hintergrund des Romans darüber austauschen, wie Literatur ihre eigene Geschichte vermitteln, sie aber auch selbst konstruieren und modifizieren kann. Wir begreifen Literaturgeschichte hierbei als Diskurs, der entlang prävalenter Machtstrukturen verläuft und versuchen herauszuarbeiten, wie unser Verständnis von queeren Vergangenheiten durch literarische Kanonisierungsprozesse beeinflusst wird. Was ist die Beziehung zwischen Literaturgeschichte und den queerfeindlichen und rassistischen Strukturen in der Archivarbeit? Sollten wir versuchen, die queeren Autor*innen, die wir in unseren Archiven auffinden, in etablierte literarische Epochen einzuordnen oder können wir durch sie aufzeigen, wie die literarische Epoche selbst als Machtinstrument fungieren kann? Anhand ausgewählter Zitate aus LOTE und queerer Literatur- und Kulturtheorie diskutieren wir diese Fragen. Dabei wird kein Vorwissen über Literaturgeschichte vorausgesetzt und der Roman muss nicht im Voraus gelesen werden. Der Workshop findet auf Deutsch statt, die Textauszüge zur Diskussion werden auf Englisch zur Verfügung gestellt.
TW: Transphobie, Alkoholmissbrauch, Essen und Trinken, Kultismus

13. Perverse Genealogien und wo sie im ältesten Archiv der Welt zu finden sind. Eine queere Betrachtung biblischer Texte – Sarah (sie/ihr)

(De-)Konstruktion – Altes Testament – Queer Theology – Empowerment – Vielfalt

Es gibt kaum ein Buch, welches unsere heutige (westliche) Welt in ihrem Werte- und Normensystem in Bezug auf Genderrollen, Sexualität und Beziehungsformen geprägt hat wie die Bibel. Alles, was nicht heteronormativ ins Bild passt, sei abnormal, Ausdruck sündhaften Lebens und nicht von Gott gewollt. Aber stimmt das wirklich? Ist die Bibel wirklich so queerfeindlich und ist Sex immer nur auf Fortpflanzung aus? Wer bestimmt, was Gottgewollt ist und wer bestimmt, wie wir die Texte der Bibel zu lesen haben? Im Zuge der historisch-kritischen Untersuchung der Bibel, d.h. der Analyse der jeweiligen Textentstehung unter Berücksichtigung des soziokulturellen und historischen Kontextes, sind die damit einhergehenden Machtstrukturen und solche problematischen Lesarten seit den 1970er Jahren zunehmend in Frage gestellt worden – mit Ziel eines diversitätssensibleren Zu- und Umganges damit. Denn die Texte der Bibel sind wie das (queere) Leben selbst – bunt und vielfältig! In meinem Workshop möchte ich Euch daher mit hineinnehmen in eine Welt, die mehr als zwei Geschlechter kennt und in welcher queere Lebensweisen, wie etwa Regenbogenfamilien, bereits vor 2500 Jahren existiert haben. Für die Teilnahme an meinem Workshop benötigt Ihr lediglich die Bereitschaft, sich mit den biblischen Texten (wissenschaftlich) auseinanderzusetzen (lesen, darüber ins Gespräch kommen) und, wenn Ihr habt, eine Bibel (mit Alten Testament) bzw. ein Internetfähiges Handy. Eine zusätzliche Vorbereitung im Vorfeld ist nicht nötig. Trigger–Warnung: diese Veranstaltung kann aufgrund der Bibellektüre und einem daran anschließenden (auf freiwilliger Basis erfolgenden) Erfahrungsaustausch Trigger enthalten, sofern ihr bereits negative Erfahrungen mit Religion, Bibel und/oder Christentum gemacht habt. Der Workshop ist aus diesem Grund so gestaltet, dass Ihr als Teilnehmende mitbestimmt, worüber und wieviel wir über etwas reden und/oder nicht reden.

14. Que(e)r durchs Filmarchiv - Queere Repräsentation in Filmen der Vergangenheit und Gegenwart – Amelie (sie/dey), Maite (sie/ihr)

Queerer Film – Medien – Repräsentation – Filmgeschichte – LGBTQ+ Geschichte

Pose, Heartstopper, Feel Good, etc. – Queere Filme und Serien treten seit einigen Jahren vermehrt in den Vordergrund und kommen nach und nach im Mainstream an. Doch queere Repräsentation im Massenmedium Film und Fernsehen ist keine Neuerscheinung diverser Netflix-Produktionen der letzten Jahre, sondern hat genauso wie unsere Community selbst schon immer existiert. Aus diesem Grund möchten wir uns gemeinsam mit euch auf eine spannende Reise durch die Geschichte der Darstellung queerer Menschen in Filmen aus Deutschland, den USA und dem Vereinigten Königreich begeben. Beginnend im Berlin der 1920er Jahre untersuchen und diskutieren wir Szenen aus Filmen verschiedener Jahrzehnte auf ihren queeren Inhalt hin, wobei ein besonderer Fokus auf der Darstellung queerer Charaktere und Erfahrungen und der Frage liegt, inwieweit Stereotype geschaffen und reproduziert werden. Da Repräsentation im Leben vieler junger queerer Menschen eine wichtige Rolle bei der Selbstfindung spielt, soll es dabei auch die Möglichkeit geben, eigene Erfahrungen zu teilen und nicht nur die Filme, sondern auch eigene Vorstellungen, was es heißt, queer zu sein, kritisch zu reflektieren. Obwohl wir bei der Auswahl der Filme darauf geachtet haben, möglichst diverse Identitäten zu zeigen, liegt der Fokus auf der Repräsentation homosexueller und trans* Figuren, da wir vor allem Filmszenen thematisieren, die vor den 2000ern entstanden sind und weitere Identitäten bis heute noch stark unterrepräsentiert sind. Triggerwarnung: Obwohl keine expliziten Gewaltakte dargestellt werden, kommen in einzelnen der gezeigten Szenen queerfeindliche Aussagen sowie diskriminierende Sprache vor.

15. Queere Autosoziobiographie. Literarische Archive nutzen, verstehen, schreiben –Kristian (er/they)

Literatur – Soziologie – Autobiographie – Identität – Klasse

Édouard Louis wuchs in Armut in einem französischen Dorf auf. In seiner autobiographischen Erzählung "Das Ende von Eddy" (CN: Gewalt, Rassismus, Homophobie, sexueller Missbrauch, Essstörung, Mobbing, Klassismus, Inzest) literarisiert er seine homosexuelle Selbstkonstitution vor der Folie der institutionellen und gesellschaftlichen Strukturen vom Dorf und der Schule. Im Workshop wollen wir uns mit der Form des Buchs auseinandersetzen, die eine Mischung aus soziologischer Analyse und literarischer Autobiographie darstellt. Wir werden uns fragen, welche Potenziale diese Form für Identitätsbildung, Selbstverständnis und gesellschaftliches Engagement bietet. Dafür gebe ich kurze Einblicke in den Forschungsstand der Literaturwissenschaft zur Form der Autosoziobiographie. Anschließend öffnen wir das Format für eigene Ideen, wie Hybride zwischen Biographie und Sozioanalyse heutzutage genutzt werden können. Vorher sollen drei bis vier übersichtliche Kapitel aus dem Buch gelesen werden, die ich zur Verfügung stelle. Besondere fachliche oder sprachliche Kenntnisse sind nicht gefordert. Wir werden gemeinsam diskutieren und Ideen für eigene Projekte skizzieren. Entsprechend wären Hilfsmittel wie Zettel/Stift, Tablet und/oder Laptop hilfreich.

16. Jeder Mensch ist Künstler*in – Victor Sattler (er/ihn)

Kunst – Literatur – Ethik – Selbsterfahrung – Werkstatt

Für viele zeitgenössische Schriftsteller*innen und Künstler*innen beginnt die Arbeit mit Recherche. Im Archiv nähern sie sich historischen queeren Persönlichkeiten, die sich für künstlerische Auseinandersetzungen eignen. Auf diesem Weg können queere Biografien eine große Wirkung entfalten. Gemeinsam schauen wir uns ein paar herausragende Beispiele aus Literatur und Kunst der letzten Monate an. Wie funktioniert diese Arbeit? Wo beginnt und endet die künstlerische Freiheit? Welche moralischen und ästhetischen Kriterien sollen gelten? Im praktischen Werkstatt-Teil lernen wir historische Queers kennen und setzen ihnen ein kleines Denkmal. Dafür braucht es Eure Mitarbeit; in welcher Form (ob grafisch, als kurzer Text oder ganz anders) ist Euch überlassen.

17. Eine kurze Genealogie des Drag – Theorie und Praxis einer queeren Kunstform – La Prince/ss [Samu/elle Striewski] (they/them)

Drag – Performance – Intersektionalität – politische Kunst – Körperlichkeit

Dieser Workshop richtet sich an Stiftis, die daran interessiert sind, sich sowohl theoretisch/analytisch/historisch/politisch als auch praktisch/künstlerisch/körperlich mit der queeren Kunstform des Drag auseinanderzusetzen. Abgesehen von Interesse und der Bereitschaft, mit dem eigenen Körper zu arbeiten, gibt es keine Voraussetzungen; im Gegenteil, der Workshop wird davon profitieren, wenn es diverse Studien-, Wissens- und Interessenhintergründe gibt. Im ersten Teil werden wir uns durch historische Beispiele und theoretische Analysen (aus den Gender & Queer Studies) zunächst einen ersten Überblick über die Vielfalt von Drag machen. Ich bin als Performer*in bisher nur in der New Yorker Drag Szene aktiv gewesen und freue mich sehr auf eure sicherlich abweichenden Erfahrungen mit Drag! Im zweiten Teil, der Sonntagnachmittag (parallel zur Open Space Phase) stattfinden wird, gehen wir zum praktischen Teil über und werden uns selbst, soweit die Zeit und eure Motivation und Vorkenntnisse es erlauben, in Drag begeben. Optional (!) kann, wer mag, auf dem Bunten Abend auch selbst in Drag performen.

18. Queerness im Improvisationstheater – eine praktische Einführung – Lino (er)

Impro – Theater – soziale Rolle – kreativ – praktisch

Wir werden uns dem Thema Queerness und der Genealogie eurer Identität auf kreativ-praktischem, selbsterfahrendem Wege nähern, indem wir grundlegende Techniken des Improvisationstheaters erlernen. Dabei beginnen wir mit einfachen Lockerungs- und Schnelligkeitsübungen und etablieren dann die grundlegenden Regeln und Techniken des Improvisationstheaters. Sodann werden wir spezifische Bereiche der Charakterbildung untersuchen, insbesondere die Frage nach dem Status. Bei diesem Workshop könnt ihr in euch bisher unbekannte soziale Rollen, Beziehungen und Machtstrukturen schlüpfen. Ziel ist es, auf diesem Wege eurer eigenen („perversen“?) Identität und ihrer Genealogie spielerisch auf den Grund zu gehen. Eine Vorbereitung auf diesen Praxis-Workshop ist nicht notwendig. Im Rahmen des Workshops werden Teilnehmende auch voreinander schauspielern. Wenn und soweit von den Teilnehmenden gewünscht, können wir für den letzten Abend eine kleine Aufführung anbieten. Wir werden uns viel im Raum bewegen und miteinander interagieren. Teilnehmende sollten die Bereitschaft mitbringen, vor anderen zu sprechen und zu schauspielern. Für den Einstieg beginnen wir aber mit Gruppenspielen, d.h. ihr müsst nicht direkt von Anfang an ins kalte Wasser springen. Trigger-Warnung: Wir werden u.U. auch soziale Konflikte / Streitthemen nachspielen, wir werden aber darauf achten, keine hochsensiblen Themen wir bspw. Coming-Out / fehlende familiäre Akzeptanz der eigenen Identität o.ä. zu simulieren.

19. Exploring Queer Temporality – Ein Anti-Archiv der Gegenwart – Mara (sie / ihr), Levi (they/er)

Persönlich – künstlerisch – experimentell – aktiv – vergänglich

Queer Temporality ist ein Konzept aus der Queer Theory, das die vielfältigen Weisen beschreibt, auf die unser subjektives und kollektives Verständnis von Zeit durch queer sein geprägt wird. Queere Lebenszeit kann nicht einfach an den Ankerpunkten normativer Lebensgestaltung (Geburt, Erwachsenwerden, Ehe, Reproduktion, Tod, Vermächtnis) festgemacht werden, sondern sucht sich eigene Wege. Queere Vergangenheit ist flüchtig, geprägt von ständigem Neu-Erfinden und Neu-Erfinden-Müssen, voll von ausgelöschten Leben und Geschichten. Was bedeutet für uns queere Gegenwart? Über Diskussion und Theorie hinaus möchten wir die Teilnehmenden durch Achtsamkeits- und Improvisationsübungen ermutigen, das Gegenwärtige gemeinsam zu erkunden. Anschließend möchten wir verschiedene Möglichkeiten geben, Gedanken und Eindrücke künstlerisch umzusetzen. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf Spontaneität und Vergänglichkeit: Was passiert, wenn wir mit Kunstformen experimentieren, die Aufbewahrung und Reproduktion nicht zulassen? Was passiert, wenn wir gestalten, um zu zerstören? Kann einmal Geschaffenes überhaupt verschwinden? In unserem Workshop möchten wir uns der Bedeutung der Gegenwart in queerer Zeit künstlerisch, philosophisch und persönlich annähern.